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Kurze Geschichten für Jedermann |
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Lesebroben aus "Die Märchenweberin" Das Rumpelmännchen Trippel wohnte in einer Puppenstube auf dem Dachboden. Es kochte Staubsuppe und brutzelte Fliegeneier, denn das essen Rumpelmännchen. |
B.Siwik |
Die Ausreißerin |
Es war einmal eine Prinzessin, die sich langweilte. Prinzen aus bestem Haus hatten beim König um ihre Hand angehalten, aber die Prinzessin schickte sie alle zum Teufel. Der König seufzte, das Mädchen habe keine Manieren, und die Königin fragte bissig, von wem sie das wohl habe! Während die Eltern sich ihre Tage mit Diskussionen über königliche Erziehungsmethoden verdarben, las die Prinzessin mit Vergnügen einen Abenteuerroman, den sie der Kammerzofe abgeluchst hatte. Das war Leben, wenn auch nur ausgedacht! Die Bösen kriegten ihre Strafe, die Guten ihren Lohn und nie wurde es langweilig. Was hatte sie hier noch verloren? Nichts wie weg! Nach dem Griff in die Kasse suchte sich die Prinzessin in der Kleiderkammer für Bedienstete das nötige männliche Outfit aus, packte den Ranzen, schnitt sich den altmodischen Zopf ab und schlich in den Pferdestall. Ihre Vorsicht erwies sich als unnötig - der Stallmeister schnarchte beduselt im Hafer. Zu reiten verstand die Prinzessin, deshalb gelang dem Pferd der Sprung über die Hecke des Parks ohne Schwierigkeiten. Sie ritt die Nacht hindurch immer geradeaus und erreichte gegen Morgen ein Städtchen. Der junge Reiter erschien den Wächtern wenig verdächtig aber Dienst ist Dienst, deshalb verlangten sie einen Ausweis. Nun war die Prinzessin zwar jung aber nicht dumm. Die Botenausweise lagen auf dem Schreibtisch des Königs herum und die königlichen Stempel daneben, folglich hatte es ihr keine Schwierigkeiten bereitet, sich in Hans Meier zu verwandeln. Im Gasthof fiel sie wie ein Wolf über das Frühstück her, das im Schloss höchstens dem Stallburschen geschmeckt hätte, dazu trank sie tapfer saures Bier: Wenn schon Hans, dann schon! Gern hätte sie sich anschließend ausgeruht aber es war klüger, noch einige Meilen zwischen sich und das Schloss zu legen, deshalb ließ sie sich von der Wirtin ein Fresspaket schnüren und ritt wieder zur Stadt hinaus. Wie es der Zufall wollte - gegen Mittag traf die Prinzessin auf eine Kutsche mit Radpanne. Der Kutscher war auf der Suche nach einem Ersatzrad, die Gäule grasten und der Eigentümer des Gefährts saß im Straßengraben - hungrig und gut aussehend. Letzteres war offensichtlich, ersteres erfuhr die Prinzessin, als sie sich neben ihm niederließ und fragte, ob er auch etwas zwischen die Zähne brauche. Während des Picknicks gab ein Wort das andere - sie wusste bald alles über ihn und er so gut wie nichts über sie, aber das merkte der junge Mann nicht! Als die Kutsche wieder rolltüchtig war, bot er der Prinzessin an, die Reise in seinem Gefährt fortzusetzen. Sie willigte dankbar ein, denn sie war hundemüde. Kaum berührte ihr Allerwertester die Polster, sank sie schlafend gegen die Rückenlehne. Das edle Ross trabte derweil neben den gewöhnlichen Gäulen dahin und schnaubte hin und wieder abfällig. Der König verfasste in Unkenntnis der wahren Sachlage einen nicht zutreffenden Steckbrief und jeder Bedienstete musste ihn aus Kostengründen zehn Mal abschreiben … Die Prinzessin überlegte nicht lange, sie schlüpfte mit Freude in die Rolle des Gehilfen, denn sie durfte dem Anwalt die Akten ins Gericht tragen. Dort ging es aufregender zu als im Abenteuerbuch der Kammerzofe und nichts davon war ausgedacht, außer vielleicht die Aussagen der Kläger und Beklagten. Die Prinzessin bewunderte die Klugheit ihres Brötchengebers und dessen kleidsame Robe. Glücklicherweise trug er die alberne weiße Perücke dazu nur im Gerichtssaal. Mit der Zeit weihte der junge Anwalt sie in den Dschungel der Paragraphen ein. Schon bald kannte sich die Prinzessin hinreichend aus, es war nicht verwirrender als im königlichen Irrgarten. Auch dort hatte sie den Ausweg stets gefunden, während der König, zur Freude der Königin, regelmäßig gerettet werden musste. Sie verlegte sich aufs Spionieren und hatte im Handumdrehen das Geheimnis entdeckt. Einerseits erleichtert, andererseits aufgebracht verlangte sie, dass der Sohn die ertappte Lügnerin sofort an die frische Luft setze. Zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn vertrat der Anwalt seine eigenen Interessen - er bat seinen Gehilfen, ihn zu heiraten. Das Wunder geschah - diesen Bewerber schickte die Prinzessin nicht zum Teufel! Aber sie musste nun Farbe bekennen und ihre Enthüllungen bestätigten die Befürchtungen des Anwalts. Er kannte den Steckbrief des Königs, manches darin war ihm vertraut vorgekommen und nun sah er die Schwere des Gesetzes auf sich herunterbrechen - Unterlassung der Meldepflicht, Missachtung königlichen Befehls usw. usw. - aber den Heiratsantrag wollte er keinesfalls zurücknehmen. Der König zierte sich eine Weile - das war er seiner Reputation schuldig - und sagte dann Ja und Amen. Es wurde Hochzeit gehalten und der Anwalts-Schwiegersohn nahm seine Arbeit im Staatsdienst auf. Er klopfte dem königlichen Schwiegervater unerbittlich auf die Finger, wenn der seine Macht zu willkürlich handhabte. Eines Tages erklärte der König, sie sollten sich beide ihren Dreck allein machen und übertrug der Prinzessin die Herrschaft über das Reich, die Staatskasse und die Pferde. Der Anwaltsgemahl sorgte dafür, dass im Staat nie wieder Ungerechtigkeit … Nein - man soll auch im Märchen nicht übertreiben! |
B. Siwik |