Merseburger Zaubersprüche oder die Macht der Idisen

 
1841 wurden zwei in althochdeutscher Sprache verfasste germanische Zauberformeln in der Bibliothek des Domkapitels zu Merseburg gefunden.
Ein Spruch beinhaltet die Befreiung von Gefangenen durch die Idisen (Zauberinnen), der andere die Heilung eines Pferdes durch germanische Gottheiten.
 

Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder. suma hapt heptidun, suma heri lezidun, suma clûbôdun umbi cuoniouuidi: insprinc haptbandum, inuar uîgandun !



Phol ende Uuôdan uuorun zi holza. Dû uuart demo Balderes uolon sîn uuoz birenkit. thû biguol en Sinthgunt, Sunna era suister, thû biguol en Frîia, Uolla era suister; thû biguol en Uuôdan sô hê uuola conda: sôse bênrenkî, sôse bluotrenkî, sôse lidirenkî: bên zi bêna, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sôse gelimida sin!

Einst setzten sich Idisen, setzten sich hierher, setzten sich dahin. Manche hefteten Haft, manche hemmten das Heer. Einige zerrten an den Fesseln. Entspring den Haftbanden, entfahr den Feinden!

Phol und Wodan ritten ins Holz. Da ward dem Fohlen Balders der Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt (und) Sunna, ihre Schwester. Da besprach ihn Frija (und) Volla, ihre Schwester. Da besprach ihn Wodan, wie (nur) er es verstand: So Knochenrenke wie Blutrenke Wie Gliedrenke: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, als ob geleimt sie seien!

 

Dazu ein despektierlicher Kommentar:

Einst fand man an verborgnem Orte
geheimnisvolle, dunkle Worte.
Beschwörung aus der Hexenküche!
Die Merseburger Zaubersprüche,
klangvoll wie ein Gedicht:
doch das sind sie eben nicht!

Die Hexen nannten sich Idisen
und waren trefflich unterwiesen
im Brauen arger Zaubertränke
und Renken wichtiger Gelenke,
ob an Hand oder Spann,
ob bei Pferd ob Reitersmann!

Einst kamen sich zwei große Heere
auf einem Schlachtfeld in die Quere.
Die hieben sich mit großem Schrei'n
erbarmungslos die Schädel ein,
bis nach Stich und nach Hieb
schließlich einer Sieger blieb.

Die Sieger machten nicht viel Faxen,
sie brachen jedem Gaul die Haxen
und schnürten die Besiegten fein
im Dutzend zu Paketen ein.
Als die Nacht endlich kam,
waren auch die Sieger lahm!

Von den Besiegten ungeniert
war einer flugs noch desertiert.
Der ritt in Angst und großem Schrecken,
die alten Hexen aufzuwecken:
"Euer Zauber tut not,
sonst sind morgen alle tot!"

Mit wirrem Haar und ohne Rasten
die Hexen durch das Dunkel hasten.
Die toten Gäule sind ihr Ziel:
Die Heilung nur ein Kinderspiel -
"Blut zu Blut, Bein zu Bein" -
Augenblicklich renkt sich's ein!

Sie schleichen durch der Feinde Reihen,
um die Gefangnen zu befreien.
"Entflieh den Banden" - und oh Wunder:
die Stricke fallen ab wie Zunder.
Die Befreiten sind heil!
Jetzt kriegt noch der Feind sein Teil!

Begeistert spuckt die Hexentruppe
dem Feinde in die Morgensuppe.
Die Gäule, wieder fest im Tritt,
besteigt man dann zu schnellem Ritt.
Jeder nimmt noch verkehrt
'ne Idise auf sein Pferd ...

Der Feind erwacht mit leerem Magen
und löffelt Suppe mit Behagen -
da treibt es ihn mit Urgewalt
in Scharen in den nahen Wald.
Hexengift wirkt im Brei ...
keiner hat Papier dabei!!

Des Feindes Heer ward so gehemmt
und die Verfolgung eingedämmt.
Durch Wodan lahm des Feindes Rösser!
Die eignen liefen umso besser
dank der Hexen Geschick.
Ein gelungnes Zauberstück!

Und die Moral von der Geschicht':
Ihr Merseburger zankt euch nicht!
Es könnte der Idisen Wort
noch wirksam sein in eurem Ort!
Und dann gibts zum Verdruss
flinken Darm und lahmen Fuß!  



©  B.Siwik

 

 
 
(aus: Merseburger Bänkellieder)
 
 
 
 
 

 

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